

Brutalismus – allein schon die Bezeichnung des Baustils der Architektur der 1950er bis 1970er Jahre weckt Antagonismus. Dabei ist der Begriff im französischen Ursprung eigentlich wertfrei und stammt von béton brut – roher Beton. Doch die Bauten, die mit Sichtbeton errichtet wurden, gelten Vielen oft als groß, dunkel und hässlich. Dabei versteckt sich hinter dieser Architektur weit mehr, als viele ahnen.
Sowohl in Israel wie auch in Nordrhein-Westfalen befindet sich ein umfangreiches Erbe im Architekturstil des Brutalismus. Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales Dr. Stephan Holthoff-Pförtner erläuterte in seiner Antrittsrede, wie es dazu kam: „Beide Länder wurden kurz nach ihrer Gründung neue Heimat Millionen mittelloser Flüchtlinge. In Israel wie in Nordrhein-Westfalen musste in kürzester Zeit Wohnraum geschaffen werden, Arbeitsplätze; Fabriken; Orte des öffentlichen Lebens; Schulen, Krankenhäuser, Bibliotheken, Theater – kurz – alles, was gebraucht wurde. In beiden Ländern formten sich in der Nachkriegszeit neue Gesellschaften. Dazu schuf die Nachkriegsarchitektur eine Infrastruktur, wurde zur in Beton gegossenen Manifestation fortschrittlicher, demokratischer Ideale.“
Dabei ermöglichten „neue Materialien und leistungsfähige benzinbetriebene Krane und Bagger einen historisch einmaligen Bauboom. Die Vielseitigkeit und die Festigkeit von Stahlbeton gestattete es Architekten, bislang unmögliche Formen zu kreieren. Gebäude trotzten mit ihren geschwungenen Treppen und riesigen Terrassen dem Diktat der Schwerkraft, bescherten Nutzern und Bewohnern mehr Fläche, mehr Licht.“ So verwandelte der Brutalismus „das junge Israel genau wie das Rheinland und das Ruhrgebiet in Zentren des Wiederaufbaus des modernen Städtebaus“, die „wie kaum eine andere Region auf der Welt“ von diesem Baustil geprägt wurden.
So betrifft die Frage des Umgangs mit diesen Bauwerken Bürger beider Länder direkt. Das Landesbüro fördert deshalb gemeinsam mit seinen Projektpartnern – der Stadt Beer Schewa, Baukultur NRW und dem Council for the Protection of Heritage Sites in Israel – den Dialog und Austausch zu diesem Thema, um dabei zu helfen, mehr Wertschätzung und Verständnis gegenüber brutalistischen Bauwerken in Israel und Nordrhein-Westfalen herbeizuführen.
Angesichts der Corona-Pandemie entschieden die Veranstalter sich dabei für ein neues, virtuelles Format – mit großem Erfolg: Mehr als 300 Personen nahmen am 12. Januar an der ganztägigen Konferenz unter dem Titel „Brutal – Different“ teil, die einen Auftakt zu einem mehrjährigen Austausch bildete.
Der virtuelle Kongress brachte Expert*innen und Interessierte aus beiden Ländern zusammen, um von- und miteinander zu lernen. Wie sollte man mit dem baugeschichtlichen Erbe des Brutalismus umgehen? Was können wir, was dürfen wir, was müssen wir erhalten? Wie kann man diese einzigartigen Gebäude retten, und gleichzeitig den Herausforderungen und Veränderungen gerecht werden?
Dies waren nur einige der Fragen, die untersucht wurden. Städtebauliche und einzigartige architektonische Qualitäten wurden analysiert, die Sanierung und mögliche Lösungen diskutiert. Dabei ging es auch um Klimawandel und Nachhaltigkeit.
Die Veranstaltung wurde als Fortbildung für Mitglieder der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen in den Fachrichtungen Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung mit 5 Unterrichtsstunden anerkannt.
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