
Klagen als Schikane - Schutz vor SLAPP-Klagen in Deutschland und Europa
Am 21.03.2022 veranstalteten das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen und die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union eine Online-Diskussion zum geplanten Paket der Europäischen Kommission zum Schutz vor sog. SLAPP-Klagen. Der Begriff „Slapp-Klagen“ steht für „Strategic Lawsuits Against Public Participation“, also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Auf Einladung von Minister Peter Biesenbach MdL diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus der Kommission, der Wissenschaft und der anwaltlichen sowie journalistischen Praxis, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, um gegen die Klagen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene effektiv vorzugehen.
In seinem Grußwort führte Minister Biesenbach MdL aus, dass SLAPP-Klagen in Nordrhein-Westfalen bislang noch nicht offiziell bekannt seien. Dennoch handele es sich bei dem Schutz von Opfern solcher Verfahren um eine wichtige Aufgabe. Hier stehe man vor der Herausforderung, verschiedene Grundrechtspositionen, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Meinungsfreiheit und das Recht auf ein faires Verfahren, in einen gerechten Ausgleich zu bringen.
Renate Nikolay (Kabinettschefin von Kommissionsvizepräsidentin für Werte und Transparenz Věra Jourová) führte in der Keynote aus, dass vor allem der Aggressionskrieg von Russland in der Ukraine die Bedeutung von unabhängigem Journalismus und der Sicherheit von Journalisten sehr deutlich mache. Der Kommission lägen Nachweise (u.a. vom Europarat und vielen zivilgesellschaftlichen Organisation) dafür vor, dass es sich bei den SLAPP-Klagen um ein paneuropäisches Problem handele. Die Initiative der Kommission zu Slapp-Klagen solle Ende April 2022 vorgelegt werden. Ziel sei es, eine Balance zwischen den betroffenen Grundrechten herzustellen. Auf der Grundlage von Art. 81 Abs.2 f) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) werde als Hauptinstrument eine Richtlinie erarbeitet, deren Anwendungsbereich sich auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränke und die frühzeitige Erkennung von missbräuchlicher Nutzung von Klagen gegen Journalisten und Rechtsverteidigern regeln soll. Insoweit werde derzeit ein Katalog rechtssicherer Kriterien erarbeitet, mithilfe derer eine missbräuchliche Klagenutzung erkannt werden soll. Journalisten würden insbesondere durch die Dauer von Verfahren ausgebremst; deshalb sei es wichtig, solche Situationen frühzeitig zu erkennen. Angedacht seien darüber hinaus die Einführung von Missbrauchsgebühren und die Erfassung von Sachverhalten mit Drittstaatbezug (u.a. durch Grenzen für die Zustellung von Klagen aus Drittstaaten). Zur Ergänzung der Richtlinie sollen im Wege des soft laws außerdem Ratschläge für rein nationale Verfahren unterbreitet werden sowie Vorschläge zur Unterstützung der relevanten Berufsgruppen mit Trainings- und Aufklärungsmaßnahmen. Die Fragen des Kollisionsrechts würden in dem anstehenden Vorschlag nicht abschließend behandelt, da insoweit noch Studien liefen.
In der anschließenden Diskussion, die von Dr. Eva Maria von Ohlen (Referentin des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen) moderiert wurde, betonte Frau Dr. Judit Bayer (Außerordentliche Professorin an der Budapest Business School sowie Senior Research Fellow an der Universität Münster), dass sich SLAPP-Verfahren nicht nur gegen Medienanstalten und Journalisten richteten, sondern häufig auch gegen Akademiker und dass es dabei nicht immer nur um Klagen gehe, sondern häufig auch um andere Mittel der Einschüchterung, beispielsweise Steuerfahndungen. Insbesondere der Schutz von Zivilgesellschaft und von Akademikern müssten bedacht und ihnen mit einem Katalog objektiver Kriterien begegnet werden. Auch wenn in Deutschland häufig Klagen die Ebene der Gerichte nicht erreichten, funktioniere die Einschüchterung auch hier. Doch müsse man den Blick aktiv auch auf andere Staaten richten, in denen das System nicht so effektiv sei wie in Deutschland. Das Ziel sei, die Situation in diesen Staaten auf das Niveau Deutschlands anzuheben, was die Abweisung von SLAPP-Klagen angehe. Deshalb brauche es eine europäische Initiative.
Gernot Lehr, Rechtsanwalt im Medienrecht, vertrat die Auffassung, dass Deutschland eine sehr ausgeprägte Rechtsprechung habe, die sicherstelle, dass etwaige missbräuchliche Klagen im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung bereits abgelehnt würden, sodass es in Deutschland keine SLAPP-Verfahren gebe. Die Justiz und die Pressekammern in Deutschland agierten zügig, sodass unschlüssige Klagen schnell und effektiv abgewiesen würden. Insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 des Grundgesetzes genössen in Deutschland einen hohen Wert. Man sollte deshalb in Deutschland keine prozessuale Vorstufe zur Prüfung, ob es sich bei der Klage um ein SLAPP-Verfahren handele, einführen. Auch Missbrauchsgebühren seien in Deutschland nicht sinnvoll, weil diese durch die Prozesskosten überhöht würden. Bzgl. der geplanten Richtlinie der Kommission bei grenzüberschreitenden Verfahren müsse die Vereinbarkeit mit dem deutschen Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet sein. Außerdem dürfte Forum Shopping nicht als großer potentieller Missbrauch von Klagerechten verstanden werden, insbesondere wenn sich erfahrene Gerichte mit den SLAPP-Klagen befassen könnten.
Dr. Felix W. Zimmermann (Chefredakteur Legal Tribune Online (LTO) Köln), wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die SLAPP-Problematik seines Erachtens auf Rechtsstaatsprobleme in bestimmten Ländern der EU zurückginge. SLAPP-Verfahren kämen durchaus auch in Deutschland vor, auch wenn die Situation hier um einiges besser sei als in anderen Staaten. Vor allem komme es zur Abschreckung von Journalisten durch hohe Kosten von Verfahren. In Deutschland könne man grundsätzlich unbesorgt sein, wenn man sich einer unsubstanziierten Klage gegenübersieht. Für Journalisten in Deutschland sei ein langes Verfahren unproblematisch, da finanziell dadurch keine zusätzlichen Kosten entstünden. Ein langes Verfahren ginge eher zulasten des Klägers. Es sei ferner möglich, dass eine mögliche Missbrauchsgebühr sich entgegen der Intention gegen die Opfer wendet, wenn beispielsweise die Unabhängigkeit der Justiz in dem entsprechenden Staat nicht gewährleistet ist. Die eigentliche Problematik bestehe seiner Ansicht nach in den Verfahrenskosten aufgrund der hohen Streitwerte im Äußerungsrecht. Der Grundstreitwert solle niedriger angesetzt werden, sodass die Last für Journalisten gedrosselt werden könnte.
Nikolay betonte abschließend, dass, auch wenn das System in Deutschland gut funktioniere, es in anderen Mitgliedstaaten hohe finanzielle Belastungen durch solche Verfahren gebe, die sogar zu existentiellen Problemen bei den Betroffenen führen könnten. Es sei wichtig, die Mitgliedstaaten zu motivieren, gegen SLAPP-Verfahren vorzugehen, indem man eine europäische Richtlinie auf den Weg bringt, im Dialog mit den Mitgliedstaaten bleibt, für mehr Aufklärung in den Mitgliedstaaten sorgt und an der Rechtsstaatlichkeit arbeitet (z.B. im Rahmen des Rechtsstaatsberichts).
In ihrer abschließenden Botschaft an die Kommission äußerte Dr. Bayer ihre Enttäuschung, dass lediglich grenzüberschreitende Sachverhalte geregelt werden sollen. Jedoch appellierte sie, die Macht der Einschüchterung weiter einzugrenzen. Lehr hingegen sah es positiv, dass lediglich grenzüberschreitende Sachverhalte geregelt werden sollen. Zimmermann hob hervor, dass die Kompetenz für die Regelung von rein nationalen Verfahren bei der Kommission fehle. Ferner sei er der Überzeugung, dass die Kommission in Mitgliedstaaten wie Polen und Ungarn die dortigen Missstände weiter sanktionieren solle, statt eine Richtlinie zur Regulierung von SLAPP-Klagen zu erarbeiten. Denn der Entwurf scheine die Kernproblematik der hohen Kosten der Verfahren nicht abzudecken, die es in Deutschland gebe.
Video der Veranstaltung:
https://www.youtube.com/watch?v=U1m9KLmjU8U&t=246s