Das Land Nordrhein-Westfalen beteiligt sich mit Ausstellungen, Konzerten, Theatervorführungen, Workshops und Diskussionsforen am diesjährigen Jubiläumsjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. #2021JLID @NRW_in_Berlin https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/begegnungen-im-fokus/
— Jüdische Allgemeine (@JuedischeOnline) April 22, 2021

Miteinander Zukunft gestalten – Jüdisches Leben in Deutschland
Online-Diskussion zum Gedenkjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland
Die Landesregierung freut sich darauf, 1.700 Jahre Judentum in Deutschland gemeinsam zu feiern. Wir sind stolz darauf, dass Nordrhein-Westfalen so eng mit der deutsch-jüdischen Geschichte verbunden ist und mit 27.000 Menschen jüdischen Glaubens die größte jüdische Gemeinschaft in Deutschland beheimatet. (Joachim Stamp)
Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen und stellvertretender Ministerpräsident, eröffnete unsere Online-Veranstaltung und begrüßte herausragende Akteure des Jubiläumsprogramms auf der virtuellen Bühne. Die Landesregierung freut sich auf dieses besondere Jubiläumsjahr. Es geht, daran erinnerte Minister Stamp, um beides, Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland und darum, Zukunft gemeinsam zu gestalten. Nordrhein-Westfalen ist traditionell ein Land der Vielfalt und der Offenheit und kann daher wichtige Impulse geben. Wir unterstützen den Verein 321-2021 e.V. personell und finanziell, der sich zur Aufgabe gemacht hat, deutschlandweit Projekte zu fördern oder selbst umzusetzen. Ministerpräsident Armin Laschet hat zur zentralen Eröffnung des bundesweiten Jubiläumsjahres in Köln betont, dass das Judentum in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 1.700 Jahren viele großartige Beiträge für die Kultur, die Wirtschaft und die Wissenschaft hierzulande geleistet hat. Das Land pflegt zudem eine enge Freundschaft mit Israel und betreibt seit März 2020 ein eigenes Verbindungsbüro in Tel Aviv.
Wichtige Aufgaben bei der Kultur- und Denkmalpflege übernehmen in Nordrhein-Westfalen die Landschaftsverbände. Zum Jubiläumsjahr sind zahlreiche Ausstellungen, Produktionen und Projekte vorgesehen. Davon berichteten Ulrike Lubek, Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland, und Matthias Löb, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Das Angebot reicht von einer Wanderausstellung zu Menschen, Bildern, Orten und Biographien, über historische Ausstellungen mit Exponaten zum jüdischen Leben in Deutschland bis hin zu einer kulinarischen Spurensuche. Das Wichtigste dabei, die Brücke zum Hier und Jetzt zu schlagen, Anlässe für Begegnungen zu stiften, Verständnis durch Kennenlernen zu fördern. Deswegen liegt ein besonderer Schwerpunkt der kulturpolitischen Arbeit auf Mitmachprojekten, auf der Bildungsarbeit in Schulen und die Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden.
Direkt vor dem Kölner Rathaus entsteht in und über den archäologischen Denkmälern derzeit ein neues Museum: das MiQua. MiQua steht für Museum im Quartier und wird Geschichte und Geschichten aus rund 2000 Jahren an diesem besonderen Ort im Herzen der Stadt aufgreifen. Sein Direktor ist Dr. Thomas Otten. In seinem Impulsvortrag zum Festjahr verriet er, was Besucher von MiQua erwarten dürfen. Das MiQua greift Themen rund um jüdisches Leben in der Stadtgeschichte sowie das umfassende archäologische Erbe Kölns auf. Die Macher des Museums waren sich von Anfang an einig. Es wäre eine verkürzte und antiquarische Darstellung, wenn man nur eine rein historische Ausstellung mit Kunstobjekten und Judaika schafft. Es geht vielmehr um die Vielfalt jüdischen Lebens in zeitlicher Tiefe. Das Entscheidende dabei: Das Narrativ der Geschichte ist von Menschen, Biographien und Geschichten geprägt und damit von Bildern und von Orten. Diese bilden das Kernelement einer Wanderausstellung aus Kölner Perspektive. Jüdische Geschichte und jüdisches Leben begegnen viel Unwissen, Halbwissen oder die Verkürzung auf die Shoa. MiQua möchte dagegen auch viele Beispiele des Zusammenlebens und Miteinanderlebens zeigen und nicht nur von Verfolgung und Ausgrenzung, sondern auch vom gesellschaftlichen Miteinander, vom Alltag und gemeinsamen Lebenswelten erzählen. Das Museum setzt dies durch vier Ausstellungskuben zu den Themen Recht und Unrecht, Leben und Miteinander, Religion und Geistesgeschichte, Kunst und Kultur um. Dazu hat das Museum Filme entwickelt und zeigt Exponate ergänzt durch interaktive Medien-Hörstationen, Graphiken und Quiz-Fragen.
Die anschließende Diskussionsrunde spannte einen weiten Bogen zu den Fragen, die sich mit dem Jubiläumsjahr verbinden, und dazu wie die Diskutanten jüdisches Leben 2021 empfinden und beobachten.
Juna Grossmann, Bloggerin und Autorin, machte eingangs deutlich: Es gibt nicht das jüdische Leben, sondern vielmehr eine „wahnsinnig große Vielfalt“. Wegen des Cuts, den die Shoa gebracht hat, aber auch wegen im Schulunterricht festgenagelter Themen, ist heute viel weniger über alltägliches jüdisches Leben bekannt als zu früheren Zeiten. Jüdisches Leben ist ein wenig gesehenes Leben, dem manche auch mit einer gewissen Scheu begegnen. Gleichzeit hilft das Internet, dem entgegen zu wirken, und immer mehr Gemeinden und Akteure sind dort aktiv und werden sichtbar. Institutionen und Gedenkorte, die jüdisches Leben in Deutschland thematisieren, hätten die Herausforderung, dass selbst, im Gegensatz zur deutschen Gesellschaft, nicht die diversesten Orte seien und sich mehr mit dem Heute beschäftigen müssen. Letztlich mündet jede Beschäftigung mit der Vergangenheit auch in der Frage. Haben wir etwas daraus gelernt oder nicht?
Für Alon Meyer, Präsident des Jüdischen Turn- und Sportvereins MAKKABI Deutschland e.V. hat der Sport das Zeug zum Brückenbauer. Es sei einfach und natürlich, auf Sportplätzen Anlass und Möglichkeit für Begegnungen zu schaffen. Bei MAKKABI, der auch in Coronazeiten steigende Mitgliederzahlen zu verzeichnen habe, sind alle gleichermaßen willkommen: Juden und Nicht-Juden. Besonders bei der Jugend könne man am meisten verändern und bewegen und über Sport Botschafter des Guten generieren, damit die Anständigen lauter werden und Diskriminierung die rote Karte gezeigt wird. Sport, so Meyer, steht dabei auch für soziale und letztlich demokratische Werte und ist damit immer politisch, aber ganz hautnah. Er stellt das aktuelle MAKKABI-Projekt Zusammen 1 – für das, was uns verbindet, das zum Ziel hat, den Sport in Deutschland nachhaltig für Antisemitismus zu sensibilisieren und Handlungsstrategien aufzuzeigen.
Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Vorstandsvorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, fasste es ganz schlicht: Es wäre viel gewonnen, wenn die Erkenntnis wächst: Juden sind ganz normale Menschen wie du und ich und wenn man einfach so in eine offene Synagoge gehen könnte. Mit Blick auf das oft beschworene christlich-jüdische Fundament moderner, freiheitlicher Gesellschaften wäre es lohnend der Frage nachzugehen: Was ist eigentlich der jüdische Anteil und was ist der positive Einfluss, den das Judentum auf Westeuropa und seine Entwicklung genommen hat?
Prof. Dr. Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam verbindet das Jubiläumsjahr mit der Hoffnung, dass nicht allein der Wunsch nach Versöhnung Triebfeder für die Feierlichkeiten sind, sondern dass auch andere Themen der jüdischen Geschichte und Kultur in den Fokus genommen werden. Dies sei ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität. Sie berichtete von ihrer Promotion, in der sie jüdische Studentenverbindungen untersuchte, die kaisertreu aber mit Davidstern, feiernd und fechtend jüdische und deutsche Identität vermischten. Vor der NS-Zeit bildeten Juden in Deutschland eine sehr assimilierte Minderheit mit starker Verbürgerlichung. Das Aufgehen in der Mehrheitsgesellschaft und Bemühen, ein normaler Teil der Gesellschaft, wurde aber auch als deutsch-jüdische Symbiose kritisiert. Nach 1945 hat sich hingegen die jüdische Gemeinschaft sehr vielschichtig entwickelt, wie die deutsche Gesellschaft im Übrigen auch.
Prof. Dr. Günter Krings MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, wies darauf hin, dass der Bund zum Jubiläumsjahr zahlreiche Projekte fördert. Bei der Bundesregierung besteht darüber hinaus fest institutionalisiert ein Beauftragter für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Ziel des 1700-Jahre-Jubiläums müsse vor allem sein, jüdisches Leben besser kennenzulernen. Es ist ein tolles Geschenk, dass nach dem Holocaust wieder 200.000 Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland leben. Viele davon sind osteuropäische Zuwanderer. Manchmal sind es auch Sprach- und Kulturbarrieren, die es zu überwinden gilt, um noch mehr aufeinander zuzugehen. Zudem fehlt es auf Grund der geringen Zahl jüdischer Mitbürger einfach an Kontaktpersonen. Diskriminierung, Hass und Hetze muss man mit Prävention und wo nötig auch mit der Konsequenz und Härte des Rechtsstaates begegnen. Krings hob hervor, dass es für Verständnis und Miteinander viele tolle Ansätze aus der Zivilgesellschaft heraus gebe.
Dr. Mark Speich, Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales des Landes Nordrhein-Westfalen und Bevollmächtigter des Landes beim Bund, unterstrich in seinem Schlusswort, dass sich die Landesregierung für Normalität und Miteinander einsetzt und sich gleichzeitig auch konsequent gegen Hass und Antisemitismus zur Wehr setzt. Die Online-Veranstaltung hat, so der Staatssekretär, große Lust auf die Wanderausstellung geweckt. Sie bietet im Jubiläumsjahr viele Eindrücke und spannt einen weiten Bogen, der die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland sichtbar macht.
Die Moderation der Veranstaltung übernahm Shelly Kupferberg, freie Journalistin/Moderatorin für Deutschlandfunk Kultur/rbb Kultur.
Historischer Hintergrund
Im Jahr 321 schreibt der römische Kaiser Konstantin an die Kölner Stadtvertreter (decurionibus Agrippiniensibus): „Durch reichsweit gültiges Gesetz erlauben wir allen Stadträten, dass Juden in den Stadtrat berufen werden. Damit ihnen [den Juden] selbst aber etwas an Trost verbleibe für die bisherige Regelung, so gestatten wir, dass je zwei oder drei […] aufgrund dauernder Privilegierung mit keinen [solchen] Berufungen belastet werden.“ Dabei handelt es sich um das älteste Zeugnis für jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands.
Um (mindestens) 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland zu begehen, finden unter #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland bundesweit rund tausend Veranstaltungen statt, darunter Konzerte, Ausstellungen, Musik, Podcasta, Video-Projekte, Theater, Filme und vieles mehr. Jüdisches Leben wird damit in zeitlicher und räumlicher Dimension in seiner Vielfalt sicht- und erlebbar.