
Die 1009. Sitzung des Bundesrates
Kurz berichtet
Europa hat nur mit Bürgerbeteiligung, Rechtsstaatlichkeit und Führungsanspruch eine Zukunft
„Alles Gute und Gottes Segen“, mit diesen Worten verabschiedete der scheidende Bundesratspräsident Reiner Haseloff, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet am Ende seiner letzten Bundesratsrede. Anlass war die Europa-Rede des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Darin widmete sich Laschet der europäischen Zukunft aus Ländersicht. Ohne Geschichtsbewusstsein könne die Menschenwürde als Kern europäischer Identität nicht verstanden werden. Das europäische Projekt stelle stets den eigenverantwortlichen Menschen in den Mittelpunkt. Immer wieder – auch heute – sei dieser Identitätskern in Gefahr: „Viele haben vergessen, wofür Europa in seinem Kern steht: für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, betonte Laschet. Dieses europäische Proprium sei nicht an ökonomische Leistungsfähigkeit, sondern allein an die „einzigartige Würde des Menschen“ gebunden. An die Würde „der Person, die aufrecht steht, die manchmal wankt und manchmal fällt, die Person, die Fehler macht und die Schuld auf sich lädt – aber die nie, wirklich nie Objekt eines Kollektivs, einer Ideologie oder anderer Zwänge werden darf.“ Das Wissen darum sei das eigentlich Herz Europas. Nur so seien die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen.
Kein Europa ohne Bürgerbeteiligung
Laschet widmete sich der Konferenz zur Zukunft Europas. Sie sei eine gute Möglichkeit Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen und Weltpolitik mit dem Austausch im Kleinen zu verbinden. Im Kern der Konferenz zur Zukunft Europas steht die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in ganz Europa. Möglich ist dies über die digitale Plattform futureu.europa.eu, über dezentrale Veranstaltungen und repräsentative Bürgerforen. Die Debatten im Plenum orientieren sich an den Empfehlungen aus den Bürgerforen und den Beiträgen der digitalen Plattform.
Die Konferenz zur Zukunft Europas wurde gemeinsam von Europaparlament, Europäischer Kommission und Europäischem Rat einberufen. Ziel der Konferenz ist es, im engen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern neue Antworten für die Zukunft der Europäischen Union zu formulieren und die nächsten Schritte der europäischen Integration vorzuzeichnen.
Das Plenum der Konferenz setzt sich aus 108 Vertretern des Europäischen Parlaments, 54 Vertretern des Rates (zwei pro Mitgliedstaat), drei Vertretern der Europäischen Kommission und 108 Vertretern aller nationalen Parlamente sowie Bürgerinnen und Bürgern zusammen. Der Ausschuss der Regionen (AdR) entsendet Staatssekretär Dr. Mark Speich in das Plenum der Konferenz.
EU-Rechtstaatlichkeitsbericht
Die 1009. Bundesratssitzung wurde durch eine weitere Rede Nordrhein-Westfalens bereichert. Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales, sprach anlässlich des zweiten Rechtsstaatlichkeitsberichts der Europäischen Kommission. Rechtsstaatlichkeit war Hauptthema während des nordrhein-westfälischen Vorsitzes der Europaminister-Konferenz 2018/19. Es handle sich dabei nicht um ein Thema, das nur Juristen anginge, sondern Rechtsstaatlichkeit sei Grundlage der europäischen Union. Rechtsstaatlichkeit in Europa ist für Holthoff-Pförtner daher nicht verhandelbar. „Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Gerichte sind Voraussetzung für die Europäische Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen.“ Jeder müsse sich darauf verlassen können, dass die EU diese originären Rechte der Bürgerinnen und Bürger durchsetze. Es sei Aufgabe der Europäischen Union, schwerwiegenden Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit entschlossen und mit den zu Gebote stehenden Instrumenten entgegenzutreten. Eine stärkere Priorisierung im europäischen Rechtsstaatlichkeitsbericht wäre für die europäischen und nationalen Diskussionen eine gute Grundlage. Die Berichte der Europäischen Kommission sollten sich daher stärker auf die Punkte konzentrieren, die für die Wahrung des Artikels 2 des EU-Vertrages wesentlich sind: „Es kann nicht sein, dass fundamentale Fragen wie die Unabhängigkeit von Richtern neben der Frage von Digitalisierung behandelt werden“, kritisierte Holthoff-Pförtner. Es müsse zudem möglich sein, gravierende und systematische Verstöße der Prinzipien der Rechtstaatlichkeit stärker von weniger schwerwiegenden Defiziten zu trennen. „So können wir das Vertragsverletzungsverfahren effektiver gestalten. Es dauert in vielen Fällen viel zu Lange.“
Melderecht: NRW fordert mehr Datenschutz
Nordrhein-Westfalen machte sich zudem mit einem Gesetzesentwurf für besseren Datenschutz beim Melderecht stark. Der Gesetzentwurf hat das Ziel, Privatpersonen besser vor missbräuchlichen Abfragen ihrer personenbezogenen Daten bei der Meldebehörde zu schützen. Das Bundesmeldegesetz ermöglicht es bisher Bürgerinnen und Bürgern durch eine sogenannte „Einfache Melderegisterauskunft“ persönliche Daten und Adressen von Mitbürgern abzufragen, etwa zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Die Abfrage von Meldedaten ist schon mit wenigen Informationen für jeden möglich: Aktuell reichen Vor- und Familienname aus, um Privatadressen zu erhalten. Vermehrt wird die Melderegisterauskunft jedoch von Kriminellen genutzt, um an Daten von Bürgern zu kommen. Vor allem Einsatzkräfte, Ehrenamtliche und Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind durch solchen Missbrauch gefährdet. Durch den nordrhein-westfälischen Gesetzentwurf soll das Meldegesetz so modifiziert werden, dass zukünftig bei Antragsstellung neben dem Grund der Anfrage auch die Identität des Antragsstellers oder der Antragstellerin offengelegt werden muss.
Übergriffe auf Ehrenamtliche und Einsatzkräfte häufen sich. Innenminister Herbert Reul fordert mehr Courage: Die Gesellschaft müsse klar Position gegen solche Auswüchse beziehen. Ministerpräsident Armin Laschet liegt der Schutz von Einsatzkräften und Ehrenamtlichen ebenso am Herzen: „Kein Mensch darf Angst haben müssen, seinen Beruf auszuüben!“ Mit dem Änderungsantrag des Landes Nordrhein-Westfalens sollen unsachgemäße Anfragen erschwert und die Melderegisterauskunft in ihrer eigentlichen Bedeutung gestärkt werden.
Europäische KI-Strategie: Breites Wissen schaffen, grenzüberschreitend
In einem weiteren Punkt setzte sich Nordrhein-Westfalen für die europäische KI-Strategie ein. Im April 2018 wurde eine europäische KI-Strategie für den Umgang mit dem Thema Künstliche Intelligenz entwickelt, um hier eine weltweite Führungsrolle bei der Förderung einzunehmen. Die EU-Kommission schlägt dabei einen zweigleisigen Ansatz vor: Einerseits soll Europa zu einem Weltklasse-Standort für KI avancieren, andererseits soll sichergestellt werden, dass Künstliche Intelligenz vertrauenswürdig und lebensdienlich ist.
Hier hat sich Nordrhein-Westfalen ganz im Sinne des Vertrags von Aachen im Europa-Ausschuss eingebracht und setzt etwa besonders auf Kultur und Bildung, um internationale Talente in diesem Bereich zu gewinnen. Eine herausgehobene Rolle im Bereich der KI kommt demnach der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Benelux-Raum und mit Frankreich zu. In einer KI-Konferenz in der Landesvertretung hat der deutsch-französische Kulturbevollmächtigte das Thema Künstliche Intelligenz breit mit Expertinnen und Experten diskutiert – auch unter dem Aspekt, das allgemeine Wissen über KI durch Bildungs- und Weiterbildungs-angebote in der Bevölkerung zu stärken und so Vertrauen zu schaffen. Klar wurde bei dieser Konferenz auch: Die EU muss eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer und ambitionierter weltweiter Normen und Standards einnehmen. Der Bundesrat hat diese Stellungnahme nun an die Kommission übermittelt.